Der sogenannte demokratische Rechtsstaat beschreibt sich selbst als von den Stimmberechtigten gewähltes Parlament, in diesem Fall das Abgeordnetenhaus von Berlin, welches für die einzelnen Bereiche Senatoren und Senatorinnen ernennt, die den jeweiligen Senatsverwaltungen vorstehen. Die Senatsverwaltung für Justiz soll demnach eine durch die Wähler_innen legitimierte Behörde sein, mit Öffnungszeiten in denen die dort beschäftigten Beamt_innen für die Regierten ansprechbar sind. Dafür hat die Senatsverwaltung ein Organigramm veröffentlicht, so weiß jede/r an wenn man sich für welches Anliegen wenden kann.
Wer die Justizverwaltung während der Öffnungszeiten aufsucht um einen zuständigen Referatsleiter kennenzulernen ist ein Linksterrorist. Das finden der Abgeordnete Tom Schreiber (SPD) und die Berliner Morgenpost, die in aufgeregtem Ton von dem Behördengang berichtet.
Was die Morgenpost und Tom Schreiber nicht berichten, ist ein Detail des hinterlassenen Flyers, nämlich das man den Referatsleiter, Herrn Richard, nicht bedrohe. Aber wie es in demokratischen Rechtsstaaten nun so ist, fühlen sich Beamt_innen schon durch den Verlust ihrer Anonymität bedroht. So sicher sind sie sich anscheinend nicht, dass der Staat ihre Tätigkeit dauerhaft vor einer Verantwortungsübernahme schützen kann. Deshalb tritt beispielsweise der Folterer in allen Ländern und Zeiten schon immer vermummt auf, wenn nicht dem Folteropfer die Augen verbunden sind.
Anonymität ist wichtig im Krieg gegen den Terror, an den uns Artikel wie der betreffende der Morgenpost, gewöhnen sollen. In Deutschland wird marschiert und so wie angeblich „ zehn junge Linksextreme am Dienstagvormittag in den Dienstsitz der Berliner Justizverwaltung – ein prächtiges Gebäude in der Salzburger Straße in Schöneberg – marschiert sind“ , marschiert wohl eher die Bundeswehr in afghanische Dörfer ein. Dabei hat sie in ihrem Gefolge ein wichtiges Instrument des demokratischen Rechtsstaats, den vermummten Informanten. Dieser hilft den deutschen Truppen bei der Identifizierung von Taliban, Islamisten, Terroristen. Nicht zufällig setzt sich dieser Trend auch bei den deutschen Polizeitruppen im Inland fort. Nachdem seit einigen Jahren schon Bullen ganzer Abteilungen des Berliner LKA ihre Dokumente und Zeugenaussagen nur noch mit Codiernummern unterschreiben und vor Gericht maskiert auftreten, wie das MEK oder FAO-Agent_innen und die Tatbeobachter_innen zu Demonstrationsdelikten, erschienen nun erstmals ganz normale Zivis der Direktion 5 bei dem Prozess gegen Isa mit verändertem Aussehen.
Es ist nicht nur Teil der Aufstandsbekämpfung in den globalen Konflikten, in denen deutsche Dienste und Truppen verwickelt sind, sondern auch integraler Bestandteil der staatlichen Garantie an die Täter_innen an der Heimatfront: die Anonymität für repressives Handeln muss gesichert sein. Daher auch die Verschickung von Drohbriefen an Projekte im Dezember nachdem Beamt_innen eines nebenbei rechtswidrigen Einsatzes geoutet wurden , die Razzien wegen Plakaten mit den Fressen von Verantwortlichen des G20 und jetzt die Deklaration eines Behördengangs zum Linksterrorismus. Referatsleiter Richard soll sich in seiner Anonymität sicher fühlen, egal welche Gewalttaten in den ihm unterstellten Anstalten an Gefangenen verübt werden.
Hier sei nebenbei noch an einen weiteren historischen Kontext der Aufstandsbekämpfung erinnert, dem Unterschreiben von Reueerklärungen. Praktiziert an vielen Orten der Partisanenbekämpfung durch deutsche Besatzer im II. Weltkrieg, aber auch in Kolonialkriegen und Bürgerkriegen wie dem Griechischen. Von Gefangenen oder ganzen Dörfern fordert die Besatzungsmacht entweder individuelle Reueerklärungen oder kollektive Distanzierungen vom Widerstand, andernfalls sie Geiseln nimmt und diese für weitere Sühnemaßnahmen missbraucht. Das Kammergericht Berlin hat in seinem aktuellen Beschluss zur weiteren Haftfortdauer von Nero maßgeblich dessen Weigerung benannt, sich von einem Anschlag auf den PKW einer Schließerin zu distanzieren. Auch dem Kammergericht, dass in den Räumen des Volksgerichtshofs tagt, von dem es sich nie distanziert hat, dürfte klar sein, dass Nero an dem besagten Anschlag nicht beteiligt sein kann.
Damit untermauert das Gericht eine weitere These anarchistischer Solidarität, nämlich die völlige Bedeutungslosigkeit ob jemand Schuldig ist oder Unschuldig. In dieselbe Richtung argumentiert auch dankenswerter Weise die Berliner Morgenpost im oben zitierten Artikel. Obwohl Isa noch nie in der JVA Tegel war sondern in Moabit und nebenbei seit etlichen Wochen auch wieder auf freiem Fuß ist, schreiben Julius Betschka und Alexander Dinger:
„Der Mann, der „Isa“ genannt wird, sitzt ebenfalls in Tegel und wohnte seit Jahren im besetzten Haus in der Rigaer Straße 94. Der 41-Jährige soll nach Erkenntnissen von Ermittlern eine Art „Ein-Mann-Sicherheitsdienst“ für das Haus sein. Er soll am 11. März vor einer Bäckerei an der Rigaer Straße einen 54-Jährigen zusammengeschlagen und wenige Tage später einen Polizisten angegriffen haben. Bei der Attacke wurden dem Opfer mehrere Knochen gebrochen.“
Was spielt es da für eine Rolle wenn der medizinische Befund des „Opfers“ vor Gericht keine Verletzungsspuren von Schlägen enthält und diese auch von keiner/m Zeugen/-in berichtet wurden?
Der Bericht des Tagesspiegel und der Berliner Zeitung zu der Aktion lassen jedenfalls nicht den Verdacht aufkommen, dass in den Medien eine Konkurrenz um Qualitättsjournalismus vorhanden ist.
Im Krieg gegen den Terror gibt es weder Fakten noch Wahrheiten, es gilt ein Feindstrafrecht per Definition der aktuellen Lage. So wie du in Afghanistan oder Syrien heute Verbündeter Deutschlands sein kannst, kannst du nächste Woche zu einer feindlichen Miliz gehören, kannst heute Informant für das LKA sein und morgen aus deiner Wohnung zwangsgeräumt werden. Wichtig sind die Worte, mit denen die Öffentlichkeit für den Krieg gegen den Terror eingestimmt wird. Gefechte finden nicht nur in den Auslandseinsätzen der Bundeswehr statt sondern auch am Dorfplatz wo mächtig terrorisiert wird, verrät uns die Welt in ihrem neuen Prozessbericht zu Isa. Hinweis: (Paywall umgehen)
Die Morgenpost Hetzer mokieren sich derweil, dass „Journalisten, die über den Polizeieinsatz berichtet hatten, auf der Internetseite Indymedia als „Staatsschutz-Journalisten“ beschimpft wurden. Für sie wurde ein „Kiezverbot“ in Friedrichshain ausgesprochen.“
Als wir am 17. Dezember 2014 als besorgte Bürger_innen getarnt an dem Symposium „Linksextremismus – Herausforderung für unsere Demokratie“ im Deutschen Technikmuseum teilnahmen, durften wir der Selbstdarstellung von Jörn Hasselmann als Staatsschutzjournalist lauschen. Auf die Frage warum der Tagesspiegel rechte Gewalt bevorzugt anprangere und linke Gewalt verschweige, entgegnete Jörn Hasselmann:
„Der Tagesspiegel verschweigt linke Gewalt ganz und gar nicht. Im Gegenteil delegitimieren wir ihre Ursachen, Motive und Protagonisten in enger Kooperation mit demokratischen Institutionen wie dem Staats- und Verfassungsschutz. Wir liegen hier ganz auf einer Linie mit dem was Senator Henkel (inzwischen verschollen in Vietnam, Anm. d. Red.) und Präsident Pallenda (inzwischen beurlaubt nach Skandal, Anm. d. Red.) in ihrer Eröffnung erwähnten.“
Leider ist von dieser interessanten Tagung nicht viel mehr erhalten als diese kleine Broschüre , das Interessante findet sich dort im Kleingedruckten.
Gespannt aber ohne Angst warten wir auf weitere Markierungen als Terrorist_innen im Feindstrafrecht durch das ASOG oder mit Hilfe der Berliner Presse. Weder ihre Anonymität noch ein erzwungener Diskurs über Schuld – Unschuld interessiert uns, jedoch welche weiteren Perspektiven in der Arbeit gegen Repression gesehen werden, Kontakt über unseren Blog.